Die Recherche-Falle

Jeder Autor kennt den Moment, in dem die Recherche zur Sucht wird. Man fängt mit einer simplen Frage an – wie sah eine Apotheke im 19. Jahrhundert aus? – und ehe man sich versieht, hat man fünf Stunden damit verbracht, alte Zeitungsanzeigen zu durchforsten. Die eigentliche Geschichte bleibt dabei auf der Strecke, weil man sich in einem faszinierenden Kaninchenbau aus historischen Details verliert. Willkommen in der Recherche-Falle, einer der größten Gefahren im Autorenleben.
Vom digitalen Archiv ins Lachkoma
Ein besonders gefährlicher Ort für Recherche-Enthusiasten sind digitalisierte Zeitungsarchive. Für meinen Roman über Minna und Theodor tauchte ich tief in das Archiv der Freiburger Zeitung ein. Was ich suchte, waren konkrete Fakten. Was ich fand, war ein unerschöpflicher Quell der Unterhaltung.
Die damaligen Zeitungen waren eine wahre Wundertüte: Eine Seite widmete sich der großen Politik, die nächste berichtete, dass „die junge Frau Müller ihren Hund im Stadtpark ausführen musste, weil Herr Müller von einer Krise überfallen wurde und ins Gasthaus flüchtete.“ Oder man fand minutiöse Berichte über einen entlaufenen Pudel. Manchmal fiel ich fast vom Stuhl vor Lachen, was damals alles eine Schlagzeile wert war. Solche Entdeckungen sind Gold für das Autorenherz, aber eine Katastrophe für den Zeitplan.
Die Jagd nach dem gedruckten Schatz
Auch abseits des Internets lauern die Fallen. Für meine Romanbiografie über Robert Gerwig, den Erbauer der Schwarzwaldbahn, war eine rein digitale Recherche undenkbar. Ich begab mich auf die Jagd nach analogen Schätzen. In einem Antiquariat entdeckte ich schließlich das Buch „Pionier der Technik“. Es ist etwas völlig anderes, ein solch altes, gedrucktes Werk in den Händen zu halten – der Geruch, die Haptik, das Gefühl, ein Teil der Geschichte zu sein. Das Eintauchen in die Materie wird dadurch umso intensiver.
Wenn die Details zum Leben erwachen
Genau das ist das Gefährliche und zugleich Wundervolle an der Recherche. Man findet nicht nur Fakten, sondern auch Anekdoten, Stimmungen und Kuriositäten, die den Figuren Leben einhauchen. Die Recherche wird zum Abenteuer, zur Schatzsuche, bei der man nie weiß, was man als Nächstes findet.
Um die Recherche-Falle zu überwinden, muss man sich immer wieder fragen: Bringt diese Information meine Geschichte voran? Oder ist es nur ein weiterer amüsanter Fakt, der mich vom eigentlichen Ziel ablenkt? Es ist ein Balanceakt, den jeder Autor meistern muss, denn am Ende soll aus all den gesammelten Schätzen auch ein fertiges Buch entstehen.