Crime – Die Geiselnahme

E-Book ISBN 9783754680179

Textauszug:

Richards Reisepläne

Richard Nitz passionierter Fahrradfahrer und Wenigsprecher hat einen überaus wichtigen Termin mit seiner Bankberaterin Beatrix Brünning. Als Kriminalpolizist verfügt Richard über ein Einkommen, das wenn auch nicht üppig, dennoch ausreichend ist. Und das Wichtigste, es kommt regelmäßig. Fast könnte er, ganz beamtenmäßig die Uhr danach stellen. Befürchtungen, dass er den gewünschten Kredit für sein Wohnmobil nicht bewilligt bekommen könnte, hat  Nitz nicht. Eher ist es das Unwohlsein, dass so ein Banktermin nicht ohne Gespräche abgeht und er hasst es, zu sprechen. Um genauer zu sein, hasst er es, sprechen zu müssen, wenn es nichts zu sagen gibt. Und die Bitte um den Kredit, die er online gestellt hat, jetzt analog ausbreiten zu müssen, behagt Richard überhaupt nicht.

Mit seinem Rennrad steuert er die Brunnengasse an, quert den Markt von Emmenburgstedt und steht vor seiner Bank. Er hätte Bernhard, seinen Freund, Kollegen und Vorgesetzten in seine Pläne einweihen sollen. Den hätte er nicht einmal bitten müssen, mitzukommen. Speck-Eff hätte das von sich aus angeboten. Einfach weil er so war. Daher war er ja auch der Freund und nicht nur Kollege und Vorgesetzer.

Nitz schloss das Fahrrad an, klopfte seinen Oberkörper nach den Papieren ab, die er sicherheitshalber eingesteckt hatte und steuerte den Eingang an.

Eine zierliche Frau mühte sich ab, eine Seniorin mit dem Rollstuhl über die Rampe hinauf auf das Podest vor der automatischen Tür zu bringen. Wer auch immer sich das ausgedacht hat, eine Rampe mit zwei Metallschienen für die Räder zu ersetzen, war wohl praxisfern und mehr darauf bedacht, die Optik der Architektur zu erhalten, als eine wirkliche Barrierefreiheit zu schaffen. Ohne zu zögern griff Richard vorn an den Rahmen des Rollstuhls und fädelte die störrischen Räder in die Schienen ein. Dann zog er, um der Frau hinter dem Rollstuhl das Hinaufschieben zu erleichtern.

„Danke. Das ist sehr nett. Ich hasse diese Schienen.“ Die brünette Schienenhasserin war etwa vierzig Jahre alt und schwitzte. Richard nickte nur und ließ ihr den Vortritt, in diesem Falle sogar die Vorfahrt. So eilig hatte er es nicht. Der Termin war erst in 10 Minuten, aber Richard war es wichtig, früh genug da zu sein, einfach weil ihm der Kredit wichtig war. Also geduldete er sich, bis die Schiebetüren sich öffneten und die Rollstuhlfahrerin mit ihrer Begleiterin den Vorraum der Bank betreten konnten.

Auf dem Podest gab es einen Bankomaten, an dem stand ein Mann, mittleren Alters, der wirkte, als wenn der Automat ihm mitgeteilt hätte, dass sein Konto nicht nur überzogen war, sondern sich in Auflösung befand und er besser daran täte, ihn, den Bankomaten nie wieder zu belästigen.

„Was hab ich Luxusprobleme, dass ich nur das Geld für ein WoMo brauche.“ Richard schüttelte bei dem Gedanken den Kopf. Auf das Wohnmobil verzichten wollte er trotzdem nicht. Damit war dem armen Schlucker vor dem Geldautomaten auch nicht geholfen und außerdem wusste er ja gar nicht, warum der so düster dreinschaute.

Beatrice Brünning winkte Richard Nitz schon von Weitem zu. Das ließ ihn stutzig werden. So oft war er nicht persönlich hier in der Bank. Woher also kannte sie ihn? Er konnte ihr Gesicht nur deswegen zuordnen, weil ein Passfoto in seinem Onlinebanking Account seine zuständigen Berater anzeigte. Während er den Schalterraum durchquerte und Frau Brünning in einen Besprechungsraum folgte, nahm er wahr, dass die Bank ganz gut besucht war. Es befanden sich mehrere Kunden dort, was Nitz gar nicht verstehen konnte. Geld bekam er an Automaten, Kontoauszüge auch, wenn nicht, wurden sie zugeschickt und was hatte man sonst bei der Bank zu tun? Um schwierige Themen konnte es nicht gehen, dann würden, die Kunden ja wohl auch in diese Besprechungskäfige geführt, wie er gerade einen betrat. Wenigstens waren die Scheiben mit Streifen foliert, dass Vorbeigehende nicht direkt sahen, wer dort drin saß und um Geld bettelte.

Der Banktermin

„Guten Tag Herr Nitz, nehmen Sie doch Platz! Möchten Sie etwas trinken? Ein Wasser, einen Kaffee?“

Richard nickte ihr grüßend zu und schüttelte dann den Kopf, als Antwort auf die Frage nach dem Getränk. Er fragte sich aber, was wohl passieren würde, wenn er einen Jasmintee mit Kandis und einem Hauch Zitrone bestellen würde, wenn nur Wasser oder Kaffee im Angebot waren. Er zog den Schwingstuhl in Corporate Identity Farbe ein Stück vor und ließ sich auf der Stuhlkante nieder. Damit wollte er deutlich machen, dass er nicht viel Zeit hatte. Da er Worte nicht liebte, zumindest nicht die selbst gesprochenen, verstand er es, seine Meinungen und Wünsche körpersprachlich diskret oder offensichtlich zu unterstreichen.

„Sie haben online eine Kreditanfrage gestellt, über die ich gern mit ihnen sprechen möchte.“ Sie schaute Richard an. Der sagte nichts. Was auch. Er hatte keine Frage zu der Aussage und dass er online die Kreditanfrage gestellt hatte, war ihm ja nun hinreichend bekannt. Als Frau Brünning merkte, dass mit Richard nicht so leicht ins Gespräch zu kommen war, schluckte sie kurz, sprach dann aber weiter.

„Sie brauchen also fünfunddreißigtausend Euro für ein Wohnmobil. Ist es ein Gebrauchtes?“

„Ist das relevant?“ Langsam verlor Richard die Geduld. Sie war seine Bankberaterin und müsste doch wissen, dass er Ersparnisse hatte.

„Ähm. Nun ja. Nein. Eigentlich nicht. Das Problem ist, dass Wohnmobile aus vielen Krediten ausgeschlossen sind.“ Das war Richard zwar neu, entmutigte ihn aber nicht weiter. Er war gespannt, welche Lösung Frau Brünning ihm vorschlagen würde. Denn dass sie eine hatte, davon ging er aus. Sonst hätte sie ihn ja wohl nicht extra einbestellt.

Beatrice Brünning wurde unruhig. Sie hatte nicht oft Kunden, die etwas wollten und dann nicht sprachen. Was genau  machte der Herr Nitz denn noch beruflich? Sie schaute schnell im System nach und was sie las, trug nicht zu ihrer Beruhigung bei. Sie sammelte sich kurz, gab ein Räuspern von sich und begann dann geschäftsmäßig zu erklären.

„Also, normale Ratenkredite sind zwar für Konsumenten gedacht, die sich den ein oder anderen Luxus oder auch Lebensnotwendigkeiten leisten wollen. Wohnmobile sind teilweise aber ausgeschlossen. Sie müssen über spezielle Kredite finanziert werden, bei denen die Raten teilweise ziemlich hoch sind. Haben Sie schon mal überlegt, ein Wohnmobil zu leasen?“

Herrgottzacknochmal, was geht es Sie an? Das dachte Richard natürlich nur und versuchte, seinen Ärger zu unterdrücken. Ein verneinendes Kopfschütteln war Antwort genug. Als wenn Leasen nun wirklich günstiger wäre. Außerdem konnte er die Hälfte des Preises anzahlen.

„Ähm. Gut. Dann das nicht.“

„Sagen Sie, gibt es ein Problem? Ich habe meine Ersparnisse, ich habe mein geregeltes Einkommen, ich bin Beamter und ich will weder einen Leasingvertrag noch eine Versicherung abschließen. Haben Sie ein Angebot, dann legen Sie es dar, ansonsten gehe ich zur Konkurrenz und nehme meine sämtlichen Konten und Verträge mit.“ Richard konnte sich nun doch nicht mehr beherrschen.

Die Röte schoss der Brünning nur so ins Gesicht. Wie konnte sie auch annehmen, hier noch irgendwelche Provisionen nebenher rausholen zu können. Mit saurer Miene schob sie Richard ein paar Blätter zu. Er konnte einen Kredit über die gewünschte Summe bekommen. Eigentlich war alles vorbereitet, aber es war üblich, Versicherungen mitzuverkaufen, die die Ratenzahlung bei Arbeitslosigkeit übernahmen oder den Rest tilgten, wenn der Kreditnehmer verstarb. Einen Stapel weiterer Blätter nahm sie zur Seite und hoffte, dass sie diese unauffällig genug unter ein paar Prospekte zog. Richard bekam das natürlich mit und grinste innerlich. Er lehnte sich zurück und las den Vertrag durch. Auch das Kleingedruckte natürlich. Das besonders gründlich. Sollte die geschäftstüchtige Frau Brünning ruhig ein wenig wie auf glühenden Kohlen sitzen.

Als Richard alles gelesen hatte, zog er seinen Kugelschreiber aus der Hemdtasche, faltete seine Einkommensnachweise auseinander und schob sie über den Tisch, ebenso seine Urkunde, dass er Beamter auf Lebenszeit war. Mit Schwung setzte er seine Unterschrift unter den Vertrag.

Es war, als wurden ihm Ohrschützer von den Ohren gezogen. Richard war beim Lesen so in seinem Tunnel, dass er die Unruhe, die aus dem Schalterraum herüberschallte, gar nicht mitbekommen hatte. Neugierig erhob er sich und versuchte über den milchigen Streifen in der Glaswand zu schauen. Gerade als er sich auf die Zehenspitzen stellt und den Hals reckt, ertönt ein lauter Knall.

„Was war das denn?“ Frau Brünning will zur Tür. Doch Richard hält sie zurück.

„Ein Schuss. Wir bleiben besser hier, und warten ab. Verstecken Sie sich wenn möglich. Ich beobachte das und rufe gleich meinen Kollegen an.“

Richard zieht das Handy aus der Tasche, stellt es auf lautlos und wählt dann Bernhards Handynummer. Als der ran geht, lässt er ihn gar nicht erst zu Wort kommen.

„Hör zu Bernhard, ich bin in der Bank am Markt. Es gab einen Schuss. Ich befinde mich mit meiner Beraterin noch in einem Besprechungsraum. Schick ein paar Leute. Ich bleibe in der Leitung und versuche nähere Informationen zu bekommen. Ach ja – mein Handy ist lautlos – ich kann also nicht hören, was du sagst. Nur so kann ich den Lautsprecher anlassen und nicht gleich auffliegen.“ Das Handy steckt Richard in die Hemdtasche, mit dem Display zum Körper hin. Früher oder später geht das Licht aus, er hofft, dass der Akku hält.