Crimetime – Mord am 2. Advent

Die Eisbahn in den Morgenstunden des 17. Dezember
Der Weihnachtsmarkt liegt in einem idyllisch wirkenden Licht eingebettet. Zentral befindet sich die große Eisbahn, die die Stadt Emmenburgstedt sich jedes Jahr ordentlich etwas kosten lässt. Drum herum ist ein Hüttendorf aufgebaut. Jede Hütte beherbergt einen anderen Verkäufer mit seinen Produkten. Filzhüte, Kerzen oder Duftöle finden sich ebenso wie Gewürze, Seifen und natürlich Fressbuden mit Glühweinausschänken. Die Vereine der Stadt haben gemeinsam einige Hütten gemietet, in denen sich die Vereine mit ihren Angeboten täglich abwechseln. Und Kitas und Schulen bauen einfach zusätzliche kleine Stände auf dem Wochenmarkt auf, um Selbstgebasteltes zu verkaufen oder die Kekse aus den Küchen der Eltern und Großeltern anzubieten, die den Klassen und Gruppen einen schönen Ausflug ermöglichen sollen.
Harald Hommenbruch ist der Marktbetreuer. Er regelt, wer welchen Stand auf dem Wochenmarkt bekommt, wie die Hütten auf den besonderen Märkten bestückt werden und von wann bis wann die Eisbahn in Betrieb ist. Neben dieser Aufgabe hat er noch zwei Kitas als Hausmeister und die Grundschule am Goethepark zu betreuen.
Auch wenn die Adventszeit für Hommenbruch immer mit mehr Arbeit verbunden und er täglich sehr früh anfangen muss, mag er diese Zeit. Der Weihnachtsmarkt ist für ihn immer am schönsten, wenn er menschenleer ist. So wie jetzt. Mittwoch früh um kurz nach Sechs flitzen nur wenige Leute in Richtung Busbahnhof. Pendler, die in der Pflege arbeiten oder die, die bis in die Schweiz zum Jobben gehen, um mehr Geld zu verdienen.
Der Emmenburgstedter Markt sieht aufgeräumt aus. Die Verkäufer kommen zum Teil schon seit Jahren hierher und sorgen dafür, dass es rund um ihren jeweiligen Stand ordentlich ist, wenn sie abschließen. Nur die Eisbahn wird manchmal unerlaubt von Jugendlichen gekapert, die dort Rennen veranstalten und ihre Energydrinkdosen liegen lassen. So auch heute. Und in der Mitte ist etwas dickes Großes drapiert, das aussieht wie ein Nikolaus. Auch solche Streiche spielen die Kids dem Harry manchmal und er kann da nur drüber lachen. Schließlich war er auch mal jung, wenn auch schon vor Ewigkeiten.
Vorsichtig schlurft er zu dem rotweißen Berg, immer bedacht darauf, auf dem glatten Eis nicht auszurutschen. Er ist gespannt, was er vorfinden wird. „Hoffentlich keine Steine, die sind so schwer vom Eis zu schleppen.“ Mit einem Grinsen versucht er, den roten Mantel zu heben und erstarrt.
„Das ist doch nicht etwa ein Mensch?“ Er fasst zur Schulter und dreht den Nikolaus zu sich. Ein blasses Gesicht mit blauen Flecken im Gesicht, wendet sich ihm zu.
„Himmelzack aber auch. Das ist doch der Andreas? Oh Gottogottogott. Ich muss die Kripo rufen.“
Aufgeregt wie er ist, verhaspelt er sich mehrmals am Telefon. Bernhard Speck-Faltberg, der an diesem Tag der erste im Büro ist, versucht ihn zu beruhigen und nimmt die Daten auf.
„Fassen Sie nichts an! Ich alarmiere meine Kollegen und komme mit dem Rad rüber. Wir warten dann gemeinsam auf die Spusi und mein Team.“
Tatsächlich trifft Speck-Eff, wie Bernhard genannt wird, nach wenigen Minuten ein und das mit dem Fahrrad. Harald Hommenbruch wundert sich über nichts. Kann es noch verrückter werden an einem Tag, an dem man eine Leiche findet? Und noch dazu eine, die man kennt?
„Herr Hommenbruch, Sie sagten, Sie kennen den Toten. Können Sie mir schon mal ein paar Informationen zu ihm geben. Wer ist er, wo wohnte er, ist er verheiratet, was macht er beruflich, woher kennen Sie sich und sowas halt.“
„Mann, Mann, Mann, haben Sie heute schon Quasselwasser getrunken? So schnell kann ich gar nicht zuhören, wie Sie fragen. Also: Andreas Jockeling ist ein Kollege von mir. Wir arbeiten beide bei der Stadt als Hausmeister. Er betreut den Komplex mit den Gewerbeschulen, daher hat er nur das eine Objekt. Wir kennen uns von den Besprechungen. Heut muss ja selbst ein Facilitymanager ab und an mal ein Meeting haben. Dieser neumodische Kram. Naja, jedenfalls ist der Andreas ein ganz netter Kollege und auch sehr hilfsbereit, wenn man mal etwas braucht.“
Bernhard vermied es, Herrn Hommenbruch darauf hinzuweisen, dass der Tote ein netter Mensch gewesen war und fragte noch einmal nach dem Alter und Familienstand.
„Ich weiß, dass er verheiratet war. Aber das muss ganz übel auseinandergegangen sein. Vor zwei Jahren etwa. Wie alt Andreas ist, weiß ich nicht. Gewohnt hat er in der alten Hausmeisterwohnung in der Hauswirtschaftsschule. Die war eigentlich nicht mehr für die Vermietung vorgesehen. Bis Andreas die Wohnung brauchte, hatte die Theater AG sich dort getroffen.“
„Wissen Sie zufällig, wie es kommt, dass der Herr Jockeling in einem Weihnachtsmannkostüm ist?“
„Ähm. Es ist Adventszeit.“
„Ja. Aber wir beide tragen auch keinen roten Mantel und weißen Bart.“
„Achsoooo. Vielleicht hat er sich bissel was dazuverdient. Gestern war doch Nikolaus und die Kitas und Grundschulen freuen sich, wenn einer von uns vorbei kommt und was verteilt.“
„Und das wird bezahlt?“
„Naja, unter der Hand. Wissen Sie, wenn die Lehrer ihre Klasse mögen, engagieren sie sich schon mal auch finanziell für ein paar Kleinigkeiten.“
„Ahja. Danke erst einmal. Ihre Telefonnummer hätte ich gern noch. Dann können Sie erst einmal gehen. Tut ja nicht Not, dass wir hier beide frieren, während wir auf die anderen warten. Hier können Sie nichts weiter tun. Wenn die Spusi da ist, wird alles abgesperrt. Aber wenn Sie woanders was arbeiten müssen, können Sie dorthin gehen. Ich rufe Sie an, wenn wir das Protokoll soweit haben und Sie zum Unterschreiben vorbei kommen können.“
„Alles klar. Ja, ich bin froh, wenn ich wegkann. Kein schöner Anblick.“
„Bis später.“
„Bis später.“
Das Quietschen einer Fahrradbremse riss Bernhard aus seine Gedanken. Richard war eingetroffen. Hinter ihm zwei Streifenteams, die sofort begannen, den Markt abzuriegeln. Da hatten sie Erfahrung drin. Erst im Sommer gab es eine Geiselnahme in der Bank.
Speck-Eff brachte seinen Kollegen Richard Nitz auf den aktuellen Stand. Nitz hörte schweigend zu. Er sprach sehr wenig, trotzdem hatten die beiden Kollegen auch ein sehr freundschaftliches Verhältnis zueinander und verbrachten viel Freizeit miteinander. Das brachte schon das gemeinsame Hobby mit sich – das Rennradfahren.