Minna und Theodor

Die Bächleromanze um 1800

Print – ISBN: 978-3-754127-66-7 eBook ISBN: 978-3-752147-33-9

Aus dem Inhalt:

November 1842

Freiburger Zeitung 08.11.1842

Haß und Liebe von Johanna Schopenhauer (Fortsetzung)

Mein erster Blick auf sie entschied über mein ganzes künftiges Leben, das fühlte ich mit klarer Ueberzeugung. Meine unbefangene Heiterheit entfloh, mein Nichts und Alles sagende Geschwätz verstummte. Ich sah nur sie, mein Auge bewachte jeden ihrer Schritte, jedes Lächeln, jede Bewegung. Sie sah es wohl, und ward errötend noch schöner.

***

Theodor Lederle stand weinend an der offenen Gruft. Seine tapfere Minna, die trotz aller Widrigkeiten des Lebens, immer ein Halt und Lichtpunkt seines Lebens war, lag in dem schlichten Sarg, der langsam hinabgelassen wurde. In der Hand hielt er die Freiburger Zeitung des heutigen Tages und las zur großen Verwunderung der Trauergemeinde nicht etwa einen Psalm, sondern die heutige Fortsetzung von „Haß und Liebe“ vor.

Zeit ihres Lebens hat Minna gerne gelesen und auch selbst geschrieben. Zu oft hatte Theo versucht, seine Frau zu überzeugen, auch einmal eine Fortsetzungsgeschichte zu verfassen, die er in der Freiburger Zeitung abdrucken würde. Doch Minna schalt ihren Theo einen Träumer.

Nun lag sie dort und Theo schwor sich und ihr, Minnas Geschichten zu veröffentlichen, um ihr ein öffentliches Andenken zu verschaffen. Nachdem der letzte Satz verhallt war, warf Theo seinen Blumenstrauß samt Zeitung auf den Sarg und überließ es anderen, Erde hinabzuwerfen. Es kostete ihn Überwindung, nicht vom Friedhof zu fliehen und sich stattdessen den Beileidsbekundungen zu stellen.

„Warum?“ Diese Frage wummerte in Theos Kopf. Und diese Frage stellte er seinem Sohn, der zumindest äußerlich gefasster wirkte, neben ihm stand und doppelt litt. Litt unter dem Schmerz des Vaters und dem Verlust der Mutter. Eine Antwort hatte auch er nicht, fragte aber selbst nicht nach dem Warum. Er fasste dem Vater an den Arm und führte ihn davon. Die Zeit würde Wunden heilen, so hoffte Franz Theodor Lederle für seinen Vater und für sich selbst.