Aleidis und Amaury
Bächleromanze aus dem Mittelalter um 1500
Aus dem Inhalt
Amaury
Amaury Hardt war auf sich allein gestellt, seit er zwölf Lenze zählte. Seine Eltern waren vom Antoniusfeuer heimgesucht und sind elendig zugrunde gegangen. Vor allem die qualvollen Schreie der Mutter hatten sich tief in Amaury eingebrannt und manchmal schreckte er nachts hoch und schrie selbst.
Mit dreizehn kam er nach Basel. Das Leben ohne Heim und mit wenig Essen hatte ihn altern lassen und er wurde von verschiedenen Handwerkern als Helfer angestellt. Amaury hatte Talent für alle Handwerke. Er schnitzte kunstvolle Muster in Kirchenbänke und bemalte die Heiligenfiguren, als hätten sie lebendige Gesichter.
Als er an den Glasmaler geriet, erkannte der Amaurys Gespür für Farben und das Geschick, die Gläser zusammenzufügen. Amaury fing an, kleinste Scherben zu sammeln und etwas Blei abzuzweigen, um kleine bunte Heiligenbilder zu entwerfen. Insgeheim bewunderte der Glasmaler seinen Helfer, erkannte aber auch die Gefahr, dass der ihn schon bald übertrumpfte. Daher jagte er ihn fort und erzählte überall, dass Amaury seinen Meister bestohlen hätte. Damit war es dem Jungen unmöglich, eine Arbeit zu bekommen.
Mit dem Vorrat an Bildern konnte sich Amaury eine Weile durchschlagen. Er suchte die Nähe zu fahrenden Künstlern oder Heilern. So lange diese in der Nähe von Basel blieben, lebte er bei ihnen, fuhr aber nie mit. Eine Gauklergruppe erzählte ihm vom Münsterbau in Freiburg und Amaury beschloss, sich auf den Weg zu machen. Unterwegs erlebte er viele Abenteuer und entkam einmal nur mit Mühe und Not dem Tod.
Wegelagerer hatten gerade eine Kutsche geplündert, als er ihnen in die Arme lief. Obwohl Amaury kaum mehr bei sich trug als die Kleider am Leib, quälten und prügelten die Barbaren ihn. Als er reglos am Boden lag, zogen sie weiter und kümmerten sich nicht mehr um ihn. Er hatte Glück, dass eine Kräutersammlerin ihn fand und seine Wunden versorgte. Bei der Minzpinz, wie sich die Alte nannte, blieb Amaury über den Winter. Er half seiner Retterin, die Kräuter zu mischen und lernte eine Menge über Heilpflanzen und deren Wirkung.
„Gibt es auch was gegen das Antoniusfeuer?“
Die Minzpinz bekreuzigte sich schnell.
„Himmel, das Antoniusfeuer, das ist so mächtig, dass nicht einmal der heilige Antonius es heilen kann, wie soll es da ein Kraut schaffen? Wieso fragst du das?“
„Meine Eltern sind daran gestorben.“
„Oh das ist schlimm. Diese Schmerzen, diese Schreie.“
Die Minzpinz setzte sich auf einen Stuhl und hielt sich die Ohren zu.
„Weißt du mein Junge, auch ich habe viele am Antoniusfeuer sterben sehen. Einige holten sich bei mir auch giftige Kräuter, um diesem Brennen ein Ende zu machen.“
Jetzt bekreuzigte sich Amaury. Es war Sünde, von eigener Hand aus dem Leben zu scheiden und sicher war es auch Sünde, Menschen dabei zu helfen. Amaury schwieg und wartete, ob die Minzpinz noch etwas erzählte. Doch die schwieg und auch er nahm das Thema nicht noch einmal auf.
Sein Weg führte ihn über Berge und durch kleine Dörfer. Überall litten die Menschen Hunger und die Krankheiten, die bei den Armen auftraten, waren alle dieselben. Amaury hatte Zeit, über seine Zukunft nachzudenken. Noch wusste er nicht, was ihn in Freiburg erwartete. Wenn dort ein Münster gebaut wurde, gab es viel zu tun. Er war jung und spürte die Verletzungen nicht mehr. Also würde er anpacken können. Um Arbeit sorgte er sich nicht. Ob Freiburg groß war? Darüber dachte er nach und wo er ein Dach über dem Kopf finden würde. Ob das Münster schon Schutz genug bot, dass er darin schlafen konnte?
In Basel wurde erzählt, dass der Bau lange Zeit ausgesetzt wurde, weil kein Geld vorhanden war. Als dann Geld da war, gab es das Erdbeben und die Basler holten sich so viele Bauherren und Helfer wie möglich. Somit soll das Freiburger Münster weiter nur langsam wachsen. Zuletzt wurde an den Chorportalen und der Sakristei gearbeitet hieß es. Portale benötigten kunstvolle Schnitzarbeiten. Das hatte Amaury zwar lange nicht gemacht, aber er war sich sicher, dass er mit etwas Übung schnell wieder zur alten Form finden würde.
Als er in Freiburg einlief, wurde sein Herz ganz leicht und er hüpfte durch die Stadt.