Bossanova mit dem Chef

Aus dem Inhalt

Kopf frei tanzen

„Gänsehaut auf der Kniescheibe?“ Thilo lachte. Seine weißen Zähne blitzten auf und Flo konnte nicht anders, als ebenfalls zu lachen. Zwar hatte sie ihm eben eines ihrer absurdesten Geheimnisse anvertraut, doch es fühlte sich gut an, obwohl sie sich erst kurz kannten. Kannten? Oh nein – sie kannten sich gar nicht. Sie hatten ein paar Tänze miteinander getanzt und gespürt, dass sie beide aus demselben Antrieb im Club waren. Sie hatten Frust und wollten ihn sich von der Seele tanzen.

„Wie genau muss ich mir das vorstellen, wenn du Gänsehaut auf den Kniescheiben hast?“ Thilo riss sie aus ihren Gedanken. Sie überlegte kurz und meinte dann:

„Kennst du das nicht, dass dich ein Song oder was auch immer so dermaßen flasht, dass es sich anfühlt, als wenn du Gänsehaut auf den Kniescheiben hast?“

„Nein – das kenne ich wohl nicht.“

„Das tut mir leid für dich.“ Flo versuchte, traurig zu gucken, konnte sich aber das Lachen dabei kaum verkneifen. Auch Thilo fiel mit ein.

„Du tanzt, als wenn es ums Überleben ginge.“ Flo fasste als Erste in Worte, was sie gegenseitig voneinander wahrgenommen hatten. Thilo nickte nur. Er hatte Frust und wollte sich den wegtanzen. Das gelang ihm in der Regel ganz gut. Aber diesmal war es mehr als ein leichter Ärger. Es war lebensverändernd- sowohl für Thilo, wie auch für Annalena, seine Assistentin und möglicherweise auch für seine Frau.

„Du aber auch.“ Ein schwacher Versuch seinerseits, sich um eine Antwort zu drücken. Florentina nickte und zog Thilo von der Tanzfläche.

„Lass uns was trinken und uns alles von der Seele quatschen. Dann können wir den Bossa-Nova nachher umso mehr genießen.

„Bossa-Nova?“

„Ja, DJ KoZaNi spielt ab Mitternacht nur noch Musik, nach der man Bossi tanzen kann. Es wird gemunkelt, weil er sich dann wie ein Boss fühlen kann. Tatsache ist aber, dass er damit sehr erfolgreich ist. Die Tanzfläche ist gerammelt voll dann, und er kann sich selbst auch unter die Tanzenden mischen.“

„Kennst du den DJ?“

„Nicht persönlich. Aber ich komme bevorzugt, wenn er auflegt.“

Sie erreichten die Bar und bestellten zwei Gin Tonics. Mit je einem Keramikbecher in der Hand suchten sie sich einen Platz, an dem es möglich war, sich zu unterhalten, ohne sich anschreien zu müssen.

„Erzähl!“ Riefen sie sich zeitgleich zu und lachten wieder.

„Du zuerst!“ Kam es ebenfalls unisono und sie warfen eine Münze, um zu entscheiden, wer zuerst berichten sollte. Es traf Flo.

***

„Ich bin Assistentin im Büro. Mein alter Chef ist von dem Schlag, dass Sekretärinnen eine Art Dienerin sind, die ihm beim Kaffee servieren am besten direkt die Füße küssen und wenn es sich ergibt, auch andere Körperteile in den Mund nehmen:“

Der Sarkasmus triefte aus Flos Stimme, als sie über ihren alten Chef her zog. Der hatte sie einfach nicht ernst genommen. Als wenn sie eine einfache Tippse wäre. Dankbar sollte sie ihm sein, für den guten Job. Gut? Was war gut daran, ein paar Diktate abzutippen und ansonsten nur unliebsame Anrufer abzuwimmeln. Flo hatte Ziele im Leben. Sie wollte auf jeden Fall noch einen Fachwirtabschluss machen. Die Fortbildung ist richtig teuer. Doch dass der alte Chef ihr die bezahlen würde, war wohl eh ausgeschlossen. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass sie dort gekündigt hatte.

„Als er mir dann an den Hintern griff, hab ich ihm vor mehreren Geschäftspartnern eine gescheuert. Zum Glück war ich geistesgegenwärtig genug, gleich meine Kündigung zu erklären. Die hätte ich ohnehin bekommen. Die einzige Frau in der Runde klatschte mir Beifall und meinte, sie hätte auch direkt eine Stelle für mich. Vor den Augen meines Chefs reichte sie mir ihre Visitenkarte und grinste mich an. Mein Chef war dunkelrot im Gesicht. Ich wusste, dass er Blutdruckprobleme hatte und setzte dem Ganzen noch einen drauf, indem ich ihn fragte, ob er direkt vom Recht seines Ablebens Gebrauch machen wollte oder ich ihm einen Arzt rufen sollte. Es nicht zu tun, wäre schließlich unterlassene Hilfeleistung.“ Kichernd schlürfte Flo den Rest ihres Gins. Noch vor ein paar Stunden hätte sie sich nicht vorstellen können, über diese Szene lachen zu können. Doch jetzt, wo sie alles einmal ausgesprochen hatte, kam ihr das alles gar nicht mehr so bedrückend vor. Ganz im Gegenteil, es kam ihr vor, als wenn sie allein durch diese Auftritt, Genugtuung für diese schlimme Zeit bei ihrem alten Chef erfahren hatte.

„Verrückte Geschichte. Mir ging es genau andersherum?“

„Du willst mir jetzt nicht erzählen, dass deine Sekretärin dich vergewaltigt hätte?“

„Nein, das nicht. Aber sie hat sich dermaßen an mich herangeworfen. Jedenfalls bin ich schwach geworden irgendwann. Sie sieht auch verdammt gut aus. Leider ist sie nicht halb so emanzipiert wie du. Ich glaube, eher hätte sie selbst sich eine gescheuert, als mir, wenn sie es vergeigt hätte.“ Thilo knirschte beim Gedanken an Annalena mit den Zähnen. Dieses Luder hatte ihm echt übel mitgespielt.

„Und das geht dir so nach, dass du tanzt, als wäre der Teufel hinter dir her?“ Flo schaute etwas fassungslos drein.

„Sie ist schwanger.“ Die Zweifel, die er selbst hegte, dass das Kind von ihm sei, behielt er für sich. Frauen solidarisierten sich selbst dann, wenn sie sich gar nicht kannten. Wer weiß, wie Flo tickte.

„Oha.“

„Das kannst du laut sagen. Seit einer Weile ist sie krankgeschrieben und das vermutlich bis zum Mutterschutz. Obwohl sie nicht da ist, ist sie präsent. Und sie droht mir täglich.“

„Drohen? Womit denn?“ In Gedanken schloss Flo eine Wette mit sich selbst ab: Wetten, er ist verheiratet.

„Damit, es meiner Frau zu erzählen.“

„Sie erpresst dich?“

„Nein. Nicht wirklich. Natürlich zahle ich ihr Unterhalt.“ In Gedanken fügte Thilo hinzu: Sobald klar ist, dass ich der Vater bin.

„Aber?“

„Genau – Aber! Es würde meine Frau zutiefst verletzen. Der Seitensprung nicht so sehr, wie der Umstand, dass ich ein Kind gezeugt habe. Sie ist älter als ich. Sehr viel älter, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Du meinst, ihre biologische Uhr tickt nicht mehr.“

„Genau das meine ich. Sie tickt schon seit Jahren nicht mehr und da ließe sich weder mit Hormonen noch anderen Therapien nachhelfen.“

„Wie alt ist sie?“

Thilos Blick veranlasste Flo, ein „Sorry!“ hinterherzuschieben. Im Grunde ging es sie nichts an. Trotzdem – Thilo wirkte gar nicht so, als wenn er auf ältere Frauen stand. Obwohl, wie wirkte so ein Mann? Flo hatte keine Ahnung und fand es müßig, darüber nachzudenken.

„Komm, lass uns wieder tanzen gehen!“