Brauereikeller, Mithras, Michelsberg: Riegels verborgene Geschichten

Riegel ist einer dieser Orte, an denen der Alltag ständig auf Geschichte trifft. Zwischen Elz und Oberrheinebene, unter dem Blick des Michaelsbergs, liegt mehr im Boden als man auf den ersten Blick ahnt: römische Scherben, Ziegel, Glas – und hin und wieder ein kleines Stück, das plötzlich eine ganze Welt aufschließt. Genau hier spielt mein Romanprojekt „Das letzte Siegel des Clarus“ – und genau hier möchte ich erzählen, warum mich Riegels Vergangenheit so fesselt.
Der Brauereikeller: Ein Ort mit Nachhall
Alte Keller haben ihre eigene Akustik: Sie geben Stimmen anders zurück. Der ehemalige Brauereikeller in Riegel ist so ein Raum, der Fragen zurückwirft. In meinem Buch wird hier 1983 eine Baustelle zum Wendepunkt: Protokolle, Fotos, das legendäre „ohne Befund“ – und doch deutet vieles darauf hin, dass da unten mehr war als nur Mauerwerk. Für mich ist der Keller damit ein Symbol: Was wir nicht gleich sehen, ist nicht verschwunden. Es wartet.
Was mich daran reizt: Der Keller verbindet Handwerk, Verwaltung und Zufall. Wer baut, schneidet in die Schichten – und die Geschichte antwortet nicht immer, wie es in einen Zeitplan passt.
Mithras – ein Kult im Halbdunkel
Der Mithraskult taucht in Riegel nicht als gesichertes „Fundhaus“ auf, aber als plausibles Geflecht aus römischer Soldatenwelt, Handel und Verlässlichkeit. Mithras ist kein lauter Gott; sein Kult war kultisch-gebunden und bewusst nicht öffentlich. Man traf sich in niedrigen, schmalen Räumen, aß zusammen, versprach Verlässlichkeit – in Graden (corax, nymphus, miles …) mit einfachen, sprechenden Symbolen: Maske, Ring, Becher, Schleier. Keine Zauberei. Eher eine Schule der Haltung: Treue, Maß, Schweigen.
Warum das hierhin passt: Riegel war römischer Vicus – Alltag, Wege, Werkstätten, Soldaten auf Durchzug. Genau dort entstehen Bünde, die halten müssen, wenn keiner hinschaut. Das ist Erzählnahrung: leise, aber tragend.
Der Michaelsberg: Orientierung über Jahrhunderte
Über Riegel steht der Michaelsberg – heute mit der Kapelle, im frühen Mittelalter schon bezeugt. Zur Zeit der Römer gab es die Kapelle noch nicht, aber der Berg war da: Hangkante, Pfad, Aussicht. In meinem Roman ist dieser Rücken ein natürlicher Wegweiser – für die Römer, die hier lebten, und für die, die Riegel heute lesen wollen. Wer oben steht, versteht, wie Ort funktioniert: Wasser und Wege, Wein und Wind, Aue und Löss – alles greift ineinander.
Ein Augenarzt als Leitfigur
Im Mittelpunkt der antiken Ebene steht Lucius Virius Clarus, ein römischer Augenarzt. Sein Werkzeug ist ein Salbenstempel – kleine Zeilen Latein, große Bedeutung für die Heilpraxis. Der Stempel verbindet die Welten: Was damals als Abdruck auf Wachs und Salbenstäbchen stand, ist heute die kleinste Brücke zu einer Person, einem Beruf, einem Codex. Im Buch wird dieser Stempel zur Spur – und am Ende zur Frage: Was bewahren wir? Was legen wir offen?
1983 und 2024: Wenn Gegenwart Geschichte macht
Riegel zeigt, wie schnell Gegenwart selbst zu Geschichte wird. 1983: Eine Baustelle, Druck, Versicherungen, Entscheidungen. 2024: Sondagen, Pigmentanalysen, Protokolle, Öffentlichkeit. In beiden Zeiten geht es nicht um Sensationsfunde, sondern um Verantwortung: sauber arbeiten, belastbar schreiben, Dinge im richtigen Moment zeigen. Für mich ist das die moderne Übersetzung des alten Themas: Verlässlichkeit – damals Bund, heute Verfahren.
Warum ich das schreibe
Ich lebe in Riegel. Ich sehe die Elz, den Hang des Michaelsbergs, die Spuren von Bauarbeiten, wenn auch nicht an der von mir beschriebenen Stelle – und ich denke: Hier liegt eine Geschichte. Mein Roman verwebt drei Fäden: den römischen Alltag mit einem stillen Kult, ein Baustellenjahr, das Fragen hinterließ, und eine Gegenwart, die versucht, richtig zu handeln. Kein Schatzroman – eher ein Verantwortungsroman. Und doch gibt es Momente, in denen ein Abdruck im Wachs, ein Planrand mit kleinem Stier oder drei Punkte im Kalk plötzlich leuchten.
Mitlesen, mitgehen
Wenn ihr Lust habt, Riegel mit mir so zu sehen – unter den Füßen, am Hang, im Keller –, dann begleitet dieses Projekt. Ich teile hier Einblicke in Recherche, Schreibprozess und die kleinen Wunder, die auftreten, wenn Vergangenheit und Gegenwart einander ernst nehmen.
Riegel ist kein Museum, hat aber eines. Aber es ist ein Ort, der weiterlebt – und der, wenn man genau hinschaut, immer wieder aufgeht.